Ach, wie herrlich ist es doch, am Wochenende liegen zu bleiben, in aller Ruhe zu frühstücken, private Planungen und Aktivitäten zu besprechen, oder notfalls einfach Musik zu hören oder ein Buch zu lesen.
Das verwendete Geschirr kann sich mal in aller Ruhe in der Küche umschauen, bevor es im Geschirrspüler geduscht wird. Der Pyjama wird frühestens zu Mittag ausgezogen.
Ich recke mich und strecke mich, spüre deutlich, dass heute der perfekte Tag für ein „Full English breakfast“ wäre. Noch einmal drehe ich mich unter meinem Schafsfell um die eigene Achse, schau auf die Anzeige des Weckers und lese „MI-16-01-07:21“.
Die rot leuchtenden Zahlen brennen sich in meine Netzhaut, der Sehnerv gähnt und schickt schlaftrunken Signale in die diensthabenden Gehirnhälften, dort werden sie gebeten, im Warteraum Platz zu nehmen, der ZNS-CEO käme sofort. Ein wenig später sage ich zuerst „Mittwoch“, kurz darauf „Sch***e!“, dann schreie ich „Aufstehen! Wir haben verschlafen!“ zu mir, zu meiner Frau, zu unserem ebenfalls erstaunten Kater. Ich springe aus dem Bett, eile in Adrians Zimmer, bleibe mit dem rechten Fuß am Bettgestell hängen, verliere ein bis zwei kleinere Zehen – werde sie später einsammeln, dafür ist jetzt keine Zeit.
Adrian liegt regungslos begraben unter der Decke, ich ziehe sie zurück, unser Reservekater schaut mich vorwurfsvoll an, Adrian hat mich offenbar nicht bemerkt. Plötzlich verschieben sich nahe des Daunen-Grabens die väterliche und die kindliche Kontinentalplatte, es folgt ein fürchterliches Erdbeben, mindestens Stufe drei auf der nach oben offenen Richterskala.
Sidney verschwindet angewidert, Adrian ruht entspannt. Jetzt packt das arme Kind auch noch eine Monsterwelle und lässt es rotieren wie einen Base-Jumper in der Stratosphäre. Zusätzlich habe ich das Radio eingeschalten, es läuft „Wake me up, when September ends“. Wem soll das jetzt helfen?
Immer wieder rufe ich Adrians Namen, verändere Amplitude und Frequenz, mit einem Ohr verfolge ich die Verkehrsnachrichten: „Auf der S 221, der Wiener Schlafstättenumfahrung, kommt es zu Verzögerungen wegen eines liegen gebliebenen Kindes. Es besteht erhöhte Staugefahr, vor allem auf dem Weg zur Nasszelle, im Schrankraume sowie im Bereich der Frühstücksausgabe. Wir bitten um erhöhte Vorsicht.“
Nun krame ich frische Wäsche aus seinem Kasten, erinnere mich, dass ich es mir seit zwei Jahren vornehme, das bereits am Vorabend zu erledigen. Für mich schaut das Gewählte farblich harmonisch aus, ich klemme es unter den Arm, inszeniere – mittlerweile genervt – ein kurzes Nachbeben, Adrian erfasst ein „Mitnahmi“ und spült ihn ins Bad. Dort wird er angezogen, geputzt, gebürstet, blanchiert und in vorgewärmte Schuhe gesteckt.
Meine Frau hat in der Eruptionspause Kaffee gekocht, die Jause liebevoll zubereitet, die Schultasche gepackt, sowie Küche und Wohnzimmer gesaugt. Ich jage das Koffein in meinen Körper und flehe, dass es wirke. Als ich bemerke, dass ich mir den gesamten Rachenraum verbrüht habe, sitzen wir bereits alle im Auto. Mit quietschenden Reifen brausen wir los, haben mit Sicherheit schon Zeit gut gemacht. Auf dem Gürtel überhole ich elegant den Boliden von Max Verstappen, der immer noch mit dem L 17 Taferl herumkurvt.
Eine Minute vor Schulbeginn schleifen wir uns vor der Eingangstür ein. Meine Frau und ich drehen uns zu Adrian zurück, der schaut uns fragend an, ob denn heute Schule sei. Wir nicken und lächeln, er steigt aus, verabschiedet sich, hopst fröhlich davon und verschwindet aus unserem Blickfeld.
Wir atmen aus und auf und fahren relaxt weiter.
THOMAS & ADRIAN VITZTHUM #6