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#91: DIE FURCHE-Titelseite/Filmkritik: Jeder gegen jeden

Sein Programm ist nichts weniger als die Errettung der Menschheit: Sich qua Flaschenpost an internationale Zeitungen den eigenen privaten Monte Verità erschreibend, giert der deutsche Philosoph Dr. Friedrich Ritter (Jude Law) danach, dass ihm die Außenwelt die Grandiosität seines anti-bürgerlichen Projekts auf der abgelegenen und lebensfeindlichen Galápagos-Insel Floreana bescheinigt.

 

Auf einer wahren Geschichte des Jahres 1934 basierend, wundern er und seine Überlebenspartnerin-Schülerin Dore Strauch (Vanessa Kirby) sich dann doch sehr, dass sie (indirekt?) zur Nachahmung aufgefordert haben – und Zuwanderer jetzt ihr einsames Partyexperiment crashen.

Da kommen zunächst die Schmetterlingsnetzte schwenkenden Wittmers – Tierarzt Heinz (Daniel Brühl) mit seiner deutlich jüngeren neuen Frau, Margret (Sydney Sweeney), und dem Sohn aus erster Ehe, Harry (Jonathan Tittel). Sie hoffen, dass die frische Luft Harrys Tuberkulose heilen könnte, so wie sich Strauchs Multiple Sklerose unter Kontrolle gehalten zu haben scheint.

Der „philosophische Robinson“ schickt sie prompt den Hügel hinauf – zu einem notorisch unfruchtbaren Stück Insel: die Angelegenheit wird sich in wenigen Wochen schon in Unwohlgefallen aufgelöst haben. Doch damit liegen die Lebensreformer falsch – die Wittmers halten sich erstaunlich gut. 

Und dann kommt die selbsternannte „Baronesse“ Eloise Bosquet de Wagner Wehrhorn (unglaublich fies: Ana de Armas) samt liebdienernden Schönlingen (darunter Felix Kammerer und Toby Wallace), die sie als quasi „Frau der Fliegen“ umschwärmen. Sie schwätzt davon, auf dem felsigen Gelände das luxuriöseste Hotel der Welt – die „Hacienda Paradiso“ nur für Millionäre! – errichten zu wollen. Bald wird klar, dass die Baronesse mit ihrem langen Perlenstrang eine intrigante Anstifterin ist: Sie spielt die Bewohner gegeneinander aus, was zu einem unvermeidlichen Abstieg in den Wahnsinn führt. Thomas Hobbes’ Bellum omnium contra omnes (Krieg aller gegen alle) lässt grüßen.

 

Einzig Margret als „anständige Säule“ schafft es in dieser insularen Vorhölle, Stabilität zu bewahren: Wahnsinn auch ihr Kampf gegen ein Rudel wilder Hunde, während sie – alleine! – ein Kind zur Welt bringt: Rolf!

Wechselnde Allianzen ackern nun das Sozialgefüge um – am Ende kommt es zum Unvergebbarem, aber Notwendigem: Die menschlichen Überreste der Baronesse und ihres Liebhabers Philippson sind bis zum heutigen Tage nicht gefunden worden.

 

Der historische Dr. Ritter wiederum verstarb an den Folgen einer Lebensmittelvergiftung – wobei die Umstände den Verdacht nahelegen, dass er durch die Hand seiner Lebensgefährtin vergiftet wurde; Strauch verließ Floreana Richtung Deutschland, wo sie ihre Sichtweise der sog. „Galápagos-Affäre“ darlegte, die der lebensgeschichtlichen Aufzeichnung Margret Wittmers freilich in wesentlichen Punkten diametral widerspricht.

Wie der Abspann verrät, lebte Margret bis zu ihrem Tode im Jahr 2000 auf der Insel, wo ihre Nachkommen bis heute Touristen in der Wittmer Lodge beherbergen.

Wer Kino als „großen Eskapismus“ versteht, darf sich dieser modernen Robinsonade nicht entziehen.

 

 

Eden

(Rudolf Preyer)

 

USA 2024. Regie: Ron Howard. Darsteller: Sydney Sweeney, Daniel Brühl, Vanessa Kirby, Jude Law, Ana de Armas. Vertrieb: Constantin. Länge: 129 Minuten.