
Hat ein ausländischer Geheimdienst Pilnacek ermordet?
Obwohl verboten, beriet Pilnacek Kurz. Gereichte ihm das zum Verhängnis? Hat er die Spitzen der ÖVP vor seinem Tod informiert, „auspacken“ zu wollen? Mit dem Erscheinen von Peter Pilz’ Pilnacek-Buch kommt einiges ans Licht: in dieser dunklen Angelegenheit. Die Frage „Wer profitiert?“ mag auch hier entscheidend sein.
„Die haben den umgebracht“, zeigte sich ein hochrangiger Militär in einer vertraulichen Erörterung mir gegenüber überzeugt. Alle Hintergrundgespräche in diesem Artikel fanden unter der Chatham House Rule statt; will heißen: Die freie Verwendung der erhaltenen Informationen wurde dem Autor unter der Bedingung gestattet, die Identität des jeweiligen Hinweisgebers nicht preiszugeben.
„Aber der grauenhafte Hund hat doch gar nicht gebellt“, wandte er sich verwundert an Sherlock Holmes. „Sehen Sie Watson, gerade das ist ja das Verdächtige.“
So ließe sich die zentrale Stelle in Arthur Conan Doyles „Der Hund von Baskerville“ paraphrasieren. Ähnlich verhält es sich im Fall des zu seinem Tode 60-jährigen Christian Pilnacek.
Aber man hat doch gar nichts gefunden!
Auf diese Idee brachte mich ein Richter, der sinngemäß meinte, wenn er sich die Beamten und Bediensteten in Österreich ansehe: Wer solle denn da in der Lage sein, ein „solches raffiniertes Mordkomplott durchzuführen?“ Die generelle Schlampigkeit sei hierzulande ein großes Problem – „und es gibt immer einen, der irgendwann redet“. Also, so glaubte der Richter: Würde es sich in dieser Causa um einen Mord handeln, dann würde der schon irgendwann auffliegen.
Auch ein zu Rate gezogener Berufsdetektiv erklärte, dass er „das“ den heimischen Geheimdiensten nicht zutraue. Meine Entgegnung – „Aber sind denn Geheimdienste nicht genau dafür da?“ – mochte ihn nicht so recht überzeugen. Schnell drängte sich daher die Vermutung auf, dass etwaig ein fremder Geheimdienst Mag. Christian Pilnacek ermordet haben könnte. Dass die österreichischen Dienste im Bedarfsfall „wegschauen und -hören“, das konnte sich der Berufsdetektiv dann schon wieder vorstellen.
Es war wohl kein Selbstmord
„Selbstmord halte ich für völlig ausgeschlossen“, sagte Karin Wurm in der Episode #158 der „Dunkelkammer“, dem Blog des Investigativjournalisten Michael Nikbakhsh.
Ganz konträr zu Pilnaceks letzter Lebensgefährtin und Zeugin äußerte sich Ex-Kanzler Sebastian Kurz am späteren Nachmittag des 20. Oktober 2023, an dem der Sektionschef frühmorgens (7:51 Uhr) von einem Baggerfahrer im Altarm der Donau bei Rossatz in der Wachau – mit dem Kopf nach oben treibend – aufgefunden worden ist: „Ich habe gestern Abend noch mit ihm telefoniert – und wenige Stunden später hat er sich das Leben genommen.“
Selbigen Tages musste Kurz vor dem Wiener Straflandesgericht aussagen. Der Vorwurf der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA): Falschaussage vor dem Ibiza-U-Ausschuss. Der Vollständigkeit halber: Vor etwa einem Jahr wurden hierauf Kurz und sein seinerzeitiger Kabinettschef Bernhard Bonelli wegen Falschaussage schuldig gesprochen. Und weiters fürs Protokoll: Aus verfahrensrechtlichen Gründen sind die Urteile aber noch immer nicht rechtskräftig. Entscheidender Nachsatz: Peter Pilz stellte elektronisch Fragen an Sebastian Kurz, die allesamt unbeantwortet blieben. Eine davon lautete: „War Ihnen bekannt, dass Pilnacek als Beamtem des Justizministeriums verboten war, Beschuldigte in einem Strafverfahren zu beraten?“
Auf Betreiben von Wurms Rechtsanwalt, Volkert Sackmann, hat der Sachverständige Stefano Longato ein gerichtsmedizinisches Gutachten erstellt. Klarer Schluss: „Der kolportierte Suizid erscheint aus gerichtsmedizinischer Sicht als wenig wahrscheinlich.“
Der Rechtsmediziner Michael Tsokos wiederum vermutet „stumpfe äußere Gewalt“, sehr wahrscheinlich durch Schläge. „Hierzu würden die möglichen Abwehrverletzungen (,Parierverletzungen‘) am linken Unterarm und rechter Hand passen.“
Und Pilz resümiert: „Es war kein Selbstmord, weil sich ein Mann nicht am ganzen Körper 20 (!) Verletzungen zufügt und sich dann mit einer Körpergröße von 1,90 m im ruhigen Flachwasser ertränkt.“
Es gibt hier nichts zu sehen!
Bevor wir uns zu Spekulationen hinreißen lassen – betrachten wir die Umstände näher, die zum „Tod des Sektionschefs“ führten, wie der Untertitel des verdienstvollen Pilnacek-Buchs von Pilz lautet.
Um 22:31 Uhr wurde Pilnacek von zwei Streifen der API (Autobahnpolizeiinspektion) Stockerau in der Höhe von Tulln aufgehalten. Zentral hier: Bei seiner Geisterfahrt war Pilnacek nicht in Richtung Krems, sondern in die Gegenrichtung – nach Wien – unterwegs.
In den zwei Stunden zwischen Führerscheinabnahme und Verlassen des – mit Karin Wurm – gemeinsamen Haushaltes in Rossatz hatte Pilnacek zahlreiche Nachrichten über sein Handy versandt.
Pilnacek verlässt nun gegen ein Uhr morgens das Haus: ohne Handy, ohne Schlüssel – zum Auto, zur Wiener Wohnung und zu Rossatz – sowie ohne Brieftasche.
Wen hat er zuvor benachrichtigt? Dazu Pilz: „Das alles hätten Staatsanwältin und Landeskriminalamt in den Tagen nach dem 20. Oktober 2023 leicht herausfinden können – durch eine Rufdaten-Rückerfassung und durch die Auswertung von Pilnaceks Handy.“
Doch all dies ist unterblieben, weil das Smartphone mittels mehrerer „polizeilicher Stunts“ aus dem Beweisverfahren herausgehalten werden konnte (siehe dazu das Pilz-Kapitel „Die Vertuschung“). Zuletzt behauptete Pilnaceks Witwe, Caroline List, Gerichtspräsidentin von Graz, dieses durch einen Bunsenbrenner vernichtet zu haben. Sie ist felsenfest überzeugt: „Christian hat sich nicht das Leben genommen. Ihm wurde das Leben genommen.“
Zwar versuchten mehrere Behörden zuerst, eine Obduktion zu verhindern: eine erfahrene und gewitzte Totenbeschauerin, zugleich Notärztin, konnte dies letztlich doch durchsetzen.
Pilz führt in seinem Buch noch weitere Ungereimtheiten auf – etwa: wo ist die wasserfeste Smartwatch der Marke Galaxy, die doch über den genauen Todeszeitpunkt Auskunft geben könnte, verblieben? Und ganz wichtig: Was ist mit dem privaten Laptop und dem USB-Stick, den Pilnacek stets als „meine Lebensversicherung“ beschrieb, und ständig am Leib trug (und, so lässt sich spekulieren, als Kompromat vielen in der ÖVP gefährlich gewesen sein dürfte), passiert? Doch stellen wir nun die wohl entscheidende Frage.
Cui bono?
Wer profitierte vom Ableben Pilnaceks? Zweifellos war jener ein Geheimnisträger.
Wollte Pilnacek auspacken? Das bekräftigte jedenfalls FPÖ-Generalsekretär Christian Hafenecker im Kurier (2.4.2024): „Er wollte dringend und vertraulich mit Herbert Kickl reden.“ Zu welchem Behufe? Hafenecker erinnerte sich an eine Pilnacek-Formulierung: „Ich habe den Rahmen für einige in der Politik gestaltet.“
Was hat Wolfgang Sobotka mit der Causa zu tun?
Kurz ausgeholt: Anna P., gewesene Freundin von Karin Wurm, bewohnte ehedem ein Zimmer im Rossatzer Haus. Von der Wachau pendelte Anna P. tagtäglich nach Wien – in ihr Büro bei Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka.
Es war Anna P., die sämtliche persönlichen Gegenstände – genannt wurden: Autoschlüssel, Schlüsselbund, Geldtasche, Handy – an das LKA NÖ ausgefolgt hat. Weitere Spuren dazu verlieren sich (weil wahrscheinlich verwischt); im Lichte der großen öffentlichen Aufmerksamkeit sind hier aber noch einige Überraschungen zu erwarten.
Im Nikbakhsh-Interview erklärt Wurm freimütig, dass es Anna P. war, die darauf gedrängt hat, dass sie Pilnacek kennenlernt. Der Rest ist Geschichte.
Follow the money to the Unicorn
Wie im Februar dieses Jahres bekannt wurde, hat das von Kurz in Israel mitgegründete Cybersecurity-Start-up „Dream“ jüngst eine Finanzierungsrunde in Höhe von 100 Millionen Dollar abgeschlossen, angeführt wurde diese Runde vom US-Investor Bain Capital. Somit stieg die Unternehmensbewertung auf 1,1 Milliarden Dollar.
Auf deren Homepage heißt es (übersetzt): „Die fortschrittliche Plattform von Dream stärkt die nationale Sicherheit, indem sie Regierungen unübertroffene Transparenz, vorausschauende Abwehr und Echtzeit-Bedrohungsabwehr bietet.“
Zur „schreiberischen Hygiene“ verfasse ich auch Kriminalromane. Mögen die Pferdchen hier vielleicht ein wenig mit mir durchgegangen sein, bleibt zuletzt doch die Frage: Waren es also doch ausländische Geheimdienste?
Um mit Watson zu fragen und zu enden: „Aber man hat doch gar keine Beweismittel für einen Mord an Pilnacek gefunden?“ Darauf Sherlock Holmes: „Aber gerade das ist ja das Verdächtige.“