DIE PILNACEK-REMIXES

PICHLACEKS ENDE &

LETZTE NACHT

Variante A-schene-Leich

 

 

Eine Romangroteske im Rückwärtsgang

Von Armin Prayner

 

[20. Oktober 2023, 08:52 Uhr]

„Dimitri, die kommen uns sicher auf die Spur, du Schmock! Leharbeen [Scheiße]."

„Geh, Shlomo, sicher nicht. Ne beri v galovu [Scheiß dich nicht an!] Wirrr sind in Österrreich!"

„Fuck!", brachte es der Fahrer Bryan auf den Punkt.

Sie legten sich allzu schnell in eine scharfe Rechtskurve beim Tennisplatz – dort, wo ihr Opfer eigentlich nächtigen wollte; im Haus, das seine Lebensgefährtin gemietet hatte –, jetzt krachte Bryan mit der Stirn ins Lenkrad. Ungebremst. Bei 40 km/h.

„Shit!", trommelte Bryan auf das Lenkrad, „and all this because this motherfucker Pichlacek had to go and suffocate in that damn wine cellar."

Die Mordsgesellen hatten den weißen Klein-LKW von „Strada Donau" nur „ausgeborgt", also mussten sie diesen schnell noch zum Bauhof zurückbringen – um sich dann endgültig nach Wien verdünnisieren zu können, während die Leiter dieser Nacht-und-Nebel-Aktion bereits auf der Autobahn nach Wien waren.

[07:46 Uhr]

Es wurde immer noch planiert. Die Spuren am Treppelweg.

Die Polizei vor Ort duldete es sehenden Auges, dass Spuren mit allergrößter Selbstverständlichkeit verwischt wurden. Es gab ja eine entsprechende (Nicht-)Weisung „von ganz oben".

[06:46 Uhr]

Sie trugen den toten Pichlacek zum Wasser. Bei einem 1,90-Meter-Lackl brauchte es schon zumindest zwei, besser sogar eher drei geheimdienstliche Akteure, die ihn über das Kanalrohr hinab zu den flachen Steinblöcken beförderten.

„Moment", sagte Dimitri, „ich drehe den noch um – weil: ist quasi unser Markenzeichen."

„Mit dem Gesicht nach oben" galt im Milieu der russischen Mafia als Botschaft: „Er soll gesehen werden." Die Leichenposition war Teil eines Einschüchterungsszenarios.

Die „Spuren zum Wasser" fakten sie jetzt – mit Pichlaceks Turnschuhen. Shlomo zog sie ihm aus, schlüpfte mit seinen Händen hinein und ging auf allen Vieren die Böschung abwärts ins Wasser.

[06:13 Uhr]

„Guten Morgen, Faki, entschuldige bitte, dass ich so früh ...", ging Anna Holz nervös im Haus in Rassatzbach auf und ab.

„Na, bin i ja selber schuld, wenn i abheb'. Was gibt's Anna?"

„Du, der Pichlacek ist net da."

„Was soll heißen: net da?"

„Na, er is net z'Haus. Und gestern is er so gegen ans ausm Haus g'angen."

Dass sie ihn vor wenigen Stunden zum Heurigen ihrer Eltern samt angeschlossenem Weinkeller geführt hatte, überging sie geflissentlich.

Faki beobachtete aus der Limousine die mühselige Kleinarbeit der Agenten am Tatort. „Na, geht's erm suacha."

[05:45 Uhr]

Der Schock saß tief. Pichlacek lag leblos im Weinkeller des Heurigens, sein Gesicht bläulich verfärbt – Zyanose. Die typischen Anzeichen einer CO₂-Vergiftung waren unverkennbar.

„Chert! Chto nam teper delat?" [Scheiße! Was machen wir jetzt?]

„Fuck! Das waren die Gärgase!", rief Bryan aus.

Sabatko starrte entsetzt auf den leblosen Körper. „Das war ein Unfall! Ein verdammter Unfall!"

Wer’s glaubt, wird selig!

Der Weinkeller war voller CO₂ aus der Gärung – Ende Oktober, mitten in der Weinlese, waren die Keller gefährliche Fallen. Pichlacek war einfach hinuntergegangen, um sich zu verstecken oder zu beruhigen, und hatte nicht gewusst, dass das schwere Kohlendioxid aus den gärenden Trauben am Boden des Kellers eine tödliche Atmosphäre bildete.

Die paar Schläge, die er zuvor schon von den Geheimdienstlern einstecken musste, zwang ihn auf den Boden, die Kellertüre hat er gerade noch vor den Angreifern verbarrikadieren können. Jetzt aber war er bald bewusstlos – und die Agenten waren schon drum und dran, die Kellertüre aufzubrechen. Dies geschehen, traktierten sie aus Wut den sterbenden Pichlacek mit letzter Gewalt: dass er ihnen das angetan hat!

Die Schinkerl-und-Fleckerl-Gesellschaft hingegen war überaus nervös.

„I was scho! I ruaf den Faki an", stammelte Sabatko und lehnte sich gegen den Klein-Bagger von Strada Donau.

[05:36 Uhr]

Dort unten herrschte die süßlich-schwere Atmosphäre der Weinlese: überall standen Gärbottiche, aus denen das unsichtbare, geruchlose Kohlendioxid aufstieg.

Pichlacek war auf der Flucht vor seinen Verfolgern direkt in die CO₂-Falle getappt. Das schwere Gas hatte sich am Boden des Kellers gesammelt – ein lautloser Killer.

Röchelnd und beinahe bewusstlos schleppte sich Pichlacek durch den Keller, dort oben war die Kellertür. Die Zyanose hatte schon eingesetzt, die Haut lief bläulich an. Pichlacek schnappte nach Luft, aber da war keine mehr – nur das tödliche Gas aus der Gärung.

Doch da war es schon zu spät. Pichlacek lag regungslos da, ein Opfer der Weinlese.

[05:39 Uhr]

Während das Softwareprogramm „Vision Thing" die heiklen Dokumente durchrechnete, war Pichlacek aufgewacht und in Panik geraten. Die Erkenntnis, was hier gespielt wurde, hatte ihn zur Flucht getrieben – direkt in sein Verderben.

[01:39 Uhr]

Der Mossad-Offizier verbrannte Annas Notiz in der Abwasch. Niemand sollte Spuren ihrer Anwesenheit finden.

[01:20 Uhr]

Im Heurigen der Familie Holz herrschte die typische Atmosphäre der Erntezeit. Überall standen Fässer und Bottiche mit gärendem Most. Die Luft war schwer und süß, erfüllt vom Duft der Weinlese – und tödlichem CO₂.

Sabatko und der Mossad-Offizier stritten sich um Pichlaceks USB-Stick, seine „Lebensversicherung". Die fünf weiteren Sticks in der Luis-Vuitton-Laptoptasche kopierten sie parallel.

Der Nationalratspräsident wusste: „Löschen! Alles löschen!" Doch der Mossad kopierte heimlich alles in ihre Dream Vision Cloud.

Sie zogen Pichlacek aus, suchten nach weiteren Datenträgern, fanden aber keine.

[01:14 Uhr]

Das Handy zu entsperren war dank des schriftlichen Codes einfach. Der Mossad-Offizier löschte die WhatsApp-Kommunikation und die Anrufliste.

[01:11 Uhr]

Anna Holz fuhr nach Hause, wie ihr Chef Sabatko es ihr aufgetragen hatte. Sie sollte den „besoffenen" Pichlacek am Morgen wieder abholen. Dass er in den Gärgasen des Weinkellers sterben würde, ahnte sie nicht. Auch nicht, dass „sie“ ihn dann in der Donau – mit dem Gesicht nach oben – ablegen würden.

[01:09 Uhr]

„Wenn der Prophet nicht zum Berge kommt, kommt der Berg eben einfach zum Propheten", hatte Sabatko zu Pichlacek gesagt. Jetzt saß er mit seinen „Security-Leuten" beim Wein, während Pichlacek – so glaubte Anna – friedlich auf dem Heurigenbankerl schlief.

Die K.O.-Tropfen hatten ihre Wirkung getan, Pichlacek war bewusstlos auf den Heurigentisch gekracht. Doch als er aufwachte und die Wahrheit erkannte, war er in Panik geflohen – direkt in die Gärgase.

[01:02 Uhr]

Pichlacek hatte sich umgezogen: weißes Hemd, rosa Kaschmir-Pullover, grüne Barbour-Jacke, blaue Hose, graue Turnschuhe. Ein Mann mit Geschmack, bis zum Ende.

Sie fuhren zum Heurigen in Anna Holz' Auto. Auf zum letzten Achterl – das tatsächlich sein letztes werden sollte.

[00:49 Uhr]

Mit einer Prosecco-Flasche hatte sich Pichlacek auf die Terrasse gesetzt und Drohnachrichten an ÖVP-Granden verschickt: „Wenn ihr meinen Führerscheinentzug nicht rückgängig machts, packe ich aus!"

Sabatko signalisierte ihm Hilfe. Doch für seine Rehabilitierung hätte Pichlacek auf Lebenszeit Sabatkos Hampelmann werden müssen.

[Tageswechsel: 19. Oktober 2023, 23:13 Uhr]

Die Mossad-Agenten Shlomo und Bryan fuhren mit ihren Führungsoffizieren nach Krems. Eine „Nacht-und-Nebel-Aktion" war angesagt.

Dimitri folgte ihnen unbemerkt auf seiner Honda.

[Vormittags]

Beim Empfang in der ungarischen Botschaft hatte Pichlacek dem FPÖ-Geschäftsführer Hafenecker sein Herz ausgeschüttet. Er wollte über die Machenschaften der ÖVP berichten, sein Gewissen erleichtern.

„Ich werde auspacken!", hatte er gesagt.

Doch die Gärgase des Weinkellers machten seinen Plänen ein Ende. Ein Unfall? Ein Zufall? In der Welt der Geheimdienste und Politik gab es so etwas nicht.

 

KEIN ENDE, SONDERN ERST DER ANFANG

Die Wahrheit lag nun begraben unter den süßen Düften der Weinlese. Pichlaceks Dossiers würden andere Wege finden. Die Macht der Kompromate war stärker als der Tod.

 

 

 

 

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Sollten wir Ihr Interesse durch diese Quasi-Alternativerzählung geweckt haben, zögern Sie nicht, „das Original“ zu konsultieren: www.story.one/de/book/pichlaceks-ende-im-ruckwartsgang/