PICHLACEKS ENDE.
DIE LETZTE NACHT:
Aus der Perspektive des Opfers.
Meine Lebensversicherung wird zum Todesurteil
Von Armin Prayner
[19. Oktober 2023, vormittags]
Endlich!
Nach Jahren des Schweigens, nach Jahren, in denen ich zusehen musste, wie diese Heuchler ihre schmutzigen Geschäfte abwickelten, werde ich reinen Tisch machen. Beim Empfang in der ungarischen Botschaft stehe ich mit einem Glas Wein in der Hand neben Hafenegger - und nach dreißig Minuten intensivem Gespräch fasse ich mir ein Herz.
"Herr Hafenegger, können Sie mir einen Termin mit Herbert Kickl arrangieren?"
Seine Augen weiten sich. Er ahnt, was kommt.
"Ich möchte dem FPÖ-Chef von den Machenschaften der ÖVP berichten. Namentlich über die Herren Knap und Sabatko. Ich möchte endlich Schluss mit all den Lügen machen - und mein Gewissen erleichtern."
Meine Dossiers sind mein Schutz. Wer würde es wagen, mir etwas anzutun?
Hafenegger nickt ernst. "Das kann ich arrangieren."
"Ich werde auspacken!", sage ich - und spüre zum ersten Mal seit Jahren wieder so etwas wie Hoffnung.
[22:31 Uhr]
Das Handy klingelt. Sebastian. Natürlich.
"Servus Sebastian, was verschafft mir die Ehre?"
Seine Stimme klingt angespannt. "Geh, bitte, entschuldige, Christian, dass ich dich noch so spät anrufe - aber ich bin jetzt erst dazu gekommen; weißt' eh: das Business..."
Ah, jetzt kommt's. Sie haben Wind bekommen.
"Na, gratuliere - da freue ich mich aber sehr, dass es jetzt so gut für dich läuft..."
Er stammelt herum, wird nervös. Ich genieße es. Nach Jahren bin ich endlich wieder am längeren Hebel.
"Du, also... mir ist zu Ohren gekommen, dass du in der ungarischen Botschaft heute in der Früh... gesagt haben sollst, dass..."
Bingo! Sie wissen Bescheid. Ihr ganzes Netzwerk zittert.
Ich spiele den Unwissenden: "Du, ich weiß nicht, was man dir zugetragen hat - aber..."
"Nein, nein, ich weiß ja eh, dass du das nicht so gemeint hast."
Oh doch, Sebastian. Genauso habe ich es gemeint.
"Du, das lässt sich alles bestimmt leicht klären, davon bin ich überzeugt..."
Schweigen am anderen Ende. Er überlegt fieberhaft.
"Du, Sebastian, das ist mir wirklich wichtig, dass du weißt, dass... also, ich komme auch... also, ich fahr' auch wieder zurück... mir ist wirklich wichtig, dass wir das ausräumen."
Ich werde zu dir fahren, Sebastian. Ich werde dir ins Gesicht sagen, was ich von euch halte.
"So ist es, weißt' eh..."
"... das Business...", vollende ich seinen Satz. Wie durchschaubar er doch ist.
Ich biege in den Kreisverkehr ein. Irgendwie in die falsche Richtung. Egal. Hauptsache weg von hier.
[22:35 Uhr]
Blaulicht. Polizei. Verdammt!
Sie stoppen mich. Geisterfahrer, sagen sie. Zwölf Kilometer. Bei Königsbrunn bin ich falsch abgebogen.
Das kann doch nicht wahr sein. Ausgerechnet jetzt!
Während sie meine Papiere kontrollieren, denke ich an meine USB-Sticks. Fünf Stück in der Laptoptasche. Meine Lebensversicherung. Jahre der Recherche. Beweise für alles. Bestechung, Korruption, illegale Waffendeals. Sie werden alle fallen.
Wenn sie glauben, sie können mich stoppen, haben sie sich geirrt.
[22:43 Uhr - zurück im Haus]
Anna holt mich von der Tankstelle ab. Sie ist nervös, redet wirr. Irgendwas stimmt nicht.
Zu Hause nehme ich mir eine Prosecco-Flasche aus dem Kühlschrank, setze mich auf die Terrasse, zünde mir eine Camel an. Mein Handy in der Hand wie eine Waffe.
"Was machst du da?", fragt Carina.
Ich ignoriere sie. Jetzt ist nicht die Zeit für Smalltalk. Jetzt ist die Zeit für Vergeltung.
Nachricht um Nachricht schicke ich an die ÖVP-Granden: Wenn ihr meinen Führerscheinentzug nicht rückgängig macht, packe ich aus. Wenn ihr meine Suspendierung nicht aufhebt, werde ich wütend, aber so richtig. Ihr könnt mich alle gern haben!
Sie sollen zittern. Sie sollen wissen, dass ich nicht mehr der stumme Pichlacek bin.
"Magst' nicht doch ins Bett kommen?", versucht es Carina noch einmal.
Da! Eine WhatsApp von Sabatko. Er will mir helfen. Natürlich will er das. Er hat Angst um seinen eigenen Kopf.
Ich weiß: Für meine Rehabilitierung hätte er mich danach völlig in der Hand. Aber das ist mir egal. Hauptsache, diese Verbrecher bekommen ihr Fett weg.
[01:09 Uhr]
Anna kommt zu mir. "Geh! Gemma noch auf a Glaserl!"
Warum nicht? Ein letzter Triumph, bevor ich sie alle zu Fall bringe.
"Warum gehen wir nicht zum Heurigen meiner Eltern?"
Perfekt. Neutral territory. Sabatko wird kommen müssen. Wird mir in die Augen schauen müssen, wenn ich ihm meine Bedingungen diktiere.
Ich packe meine Laptoptasche. Die USB-Sticks. Mein Handy. Alles, was ich brauche, um sie zu vernichten.
Die Schlüssel lasse ich da - Anna bringt mich ja zurück.
Heute Nacht werden die Karten neu gemischt. Und diesmal halte ich das bessere Blatt.
[01:09 Uhr - Im Heurigen]
"Grüß' Sie Gott, Herr Pichlacek. Ich bin gekommen, um Ihnen zu helfen - um, ja, sagen wir es so: Frieden mit Ihnen zu machen."
Sieh an, sieh an. Der Herr Nationalratspräsident höchstpersönlich.
"Und das ist Ihre Security, wie ich sehe", deute ich auf die Typen am Nebentisch.
"Ach, das sind nur gute Freunde."
Sicher. Gute Freunde mit Bullenaugen und Nackenrollen.
Anna serviert den Brut Blanc. Sabatko redet von Burgfrieden, von Rehabilitation. Ich höre nur halb zu. Meine Gedanken kreisen um die USB-Sticks in meiner Tasche.
Gleich werde ich sie alle auf den Tisch legen. Werde ihnen zeigen, was echter Machthaber bedeutet.
Das Glas schmeckt seltsam. Bitter irgendwie.
"Das mit dem entzogenen Führerschein sei doch bloß eine Lappalie", sagt Sabatko.
Eine Lappalie? Du wirst schon sehen, was eine Lappalie ist, wenn...
Mir wird schwindlig. Der Raum verschwimmt.
Was... was passiert hier?
Mit voller Wucht krache ich auf den Heurigentisch.
Das kann nicht... sie würden nicht wagen...
Schwärze.
[05:39 Uhr]
Ich wache auf. Benommen. Nackt.
Wo bin ich? Was ist passiert?
Stimmen um mich herum. Fremde Gesichter. Computer-Bildschirme. Mein Laptop! Meine Daten!
Nein! Das dürfen sie nicht!
Panik schießt durch meinen Körper. Ich springe auf, versuche zu fliehen.
Ich muss hier raus! Ich muss die USB-Sticks retten!
[05:36 Uhr]
Der Schlag trifft mich am rechten Oberschenkel. Höllische Schmerzen. Ich taumele, stürze.
Ein Baseballschläger? Sind die wahnsinnig geworden?
Ich versuche weiterzukriechen. Der Schmerz ist unerträglich. Das Fleisch ist aufgerissen bis zum Knochen.
Das kann nicht real sein. Das passiert nicht wirklich.
Sie packen mich, werfen mich die Böschung hinunter. Ich überschlage mich mehrmals, stehe wieder auf.
Ich bin zäh. Ich überlebe das.
"Dimitri, was machst du denn hier?", höre ich eine Stimme.
Dimitri? Wer ist Dimitri? Und warum kenne ich diese Stimme?
Weitere Schläge. Mit dem Baseballschläger. Mit Fäusten. Mein Kopf. Mein Hals.
Warum? Warum tun sie mir das an?
"Aufhören!", schreit jemand.
Zu spät. Ich sinke zu Boden. Mein Puls wird schwächer.
Das war's also. Meine Lebensversicherung wird zu meinem Todesurteil.
[06:02 Uhr]
Sie tragen mich. Mein Bewusstsein flackert. Ich spüre Wasser um meine Beine.
Die Donau. Sie werden es wie einen Unfall aussehen lassen.
"Moment, ich drehe den noch um - weil: ist quasi unser Markenzeichen."
Markenzeichen? Sie machen mich zu einer Botschaft.
Mit dem Gesicht nach oben. Damit man mich sieht. Damit alle wissen: Das passiert mit Verrätern.
Aber ich bin kein Verräter. Ich bin derjenige, der die Wahrheit sagen wollte.
Das Wasser ist kalt. Meine Augen starren in den dunklen Himmel.
Carina wird sich fragen, wo ich bin. Anna wird so tun, als wüsste sie von nichts. Und meine Dossiers? Die werden sie alle haben. Alles umsonst.
Die ersten Sonnenstrahlen verirren sich an die Donau.
Meine letzte Nacht.
KEIN ENDE, SONDERN ERST DER ANFANG
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Sollten wir Ihr Interesse durch diese Quasi-Alternativerzählung geweckt haben, zögern Sie nicht, „das Original“ zu konsultieren: www.story.one/de/book/pichlaceks-ende-im-ruckwartsgang/