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Hana, dul, set.

Einige von Adrians Freunden sind in einem Taekwondo-Verein. Auf sein Drängen hin lassen wir ihn unverbindlich mittrainieren. Am Weg zur Sporthalle erklärt er uns die exakte Vorgehensweise des Vereins.

Er hat sich offenbar informiert. Er weiß, dass er fünf Probetrainings mitmachen muss und dass danach über seine Aufnahme entschieden wird. Meine Frau und ich sind erstaunt.

 

Vor der Sporthalle tollen einige Kinder in weißen Anzügen, die von unterschiedlich gefärbten Gürteln kunstvoll zusammengehalten werden, herum.

Adrian ist für seine Verhältnisse sehr aufgeregt, schnallt sich ab und stürmt zu der Gruppe. Wir folgen.

Die Kinder schnattern und warten auf die Trainer. Drei Männer in Zivilkleidung und umgehängten Sporttaschen erscheinen und die Kinder stellen sich wortlos in einer festgelegten Reihenfolge auf.

Adrian muss an die letzte Stelle. Er akzeptiert seine Position kommentarlos. Meine Frau und ich sind ziemlich erstaunt.

 

Wenige Augenblicke später stehen die Kinder aufgefädelt in zwei Reihen nebeneinander. Ein Trainer gibt Kommandos und die Kampfsportler antworten darauf laut und kurz.

Mein Gehör führt mich auf Irrwege, ich verstehe „Anatol said!“ und „Shut up!“. Letzteres lässt die Gruppe strammstehen.

Das Training dauert eine gute Stunde, alle sind konzentriert, keiner blödelt, alle gehorchen auf Kommando! Adrian auch. Meine Frau und ich sind richtig erstaunt.

 

Am Nachhauseweg hören wir sein aufgeregtes Herz rasen, er nennt uns Namen von Abwehrtechniken, erklärt uns die Bedeutung der Gürtelfarben und noch weitere Fakten, die in meinem Gehirn nicht mehr Platz haben.

Am Abend fragen wir ihn vorsichtig, ob er sich vorstellen könnte, noch seine Aufgabe fertig zu stellen. Er setzt sich nickend hin, schreibt und rechnet wie ein gottesfürchtiger Klosterschüler und hat in wenigen Minuten alles erledigt.

Meine Frau und ich haben Tränen in den Augen.

 

Abends wälze ich mich und meine den knöchernen Schädel zerfurchenden Sorgenfalten verzweifelt im Bett herum. Braucht er doch militärischen Drill? Wird er mit Stechschritt über große Plätze marschieren? Verlieren wir ihn letztendlich an die Marines? Mein zivilgedientes Weltbild ist erschüttert.

 

Ein paar Tage später trainieren sie wieder, Adrian ist mit Feuereifer dabei, bittet mich danach um einen Dobok. Ich erkläre ihm, dass ich nicht rauchte und er ohnehin viel zu jung dafür sei. Er findet den Witz nicht komisch und brüllt mich gekränkt an. Ich kontere mit „Anatol said!“ und erhoffe, ihn damit zu erreichen.

Er lacht und sagt, dass das „hana, dul, set“ hieße und nichts anderes bedeute als „eins, zwei, drei“. Er setzt fort bis zehn und übt mit mir, bis ich es endlich kapiert habe.

 

In den darauffolgenden Tagen höre ich von ihm nichts außer „hana, dul, set, net ...“. Die neuen Worte irren planlos in meinem Gehirn herum, spielen die Reise nach Jerusalem, allerdings ohne Stühle, und verschwinden grußlos wieder. Offenbar lehnt mein Sprachzentrum Koreanisch ab.

Adrian selbst ist wie ausgewechselt: er gehorcht uns aufs Wort, ist ordentlich, höflich und fleißig. Meine Frau und ich sind ratlos.

 

Vor dem Einschlafen nehme ich informellen Kontakt mit den Militärakademien in Sandhurst und West-Point auf. Ich lege mich neben meine Frau, habe ernsthafte Sorgen und kann nicht einschlafen. Sie rät mir gähnend, ich solle doch Schafe zählen.

 

„Hana, dul, set, net, tasot, yeosot, ilgop, yeodol, ahop, yeol“. Schnarch.

 

THOMAS & ADRIAN VITZTHUM #4

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